Gerade an der spannendsten Stelle klappte der Großvater sein dickes, handgeschriebenes Buch zu. Denn Mama war ins Zimmer gekommen und sagte mit betont fröhlicher Stimme: „Nun wird aber geschlafen. Morgen fahren wir ans Meer, da will ich muntere Kinder um mich haben.“
Mit einem Seufzer stand Großvater auf, zwinkerte den Kindern kurz zu und verließ das Zimmer. Dann verteilte Mama Gutenacht-Küsse an die Zwillinge, rückte die Decken zurecht und verschwand. Als ihre Schritte auf der Treppe verklungen waren, richtete sich Meno in seinem Bett auf: „He, Mina, was war das denn?“
Mina verstand gleich, was ihr Bruder meinte.
„Mama tat munter, aber sie wirkte irgendwie sauer. Opa tat schuldbewusst, aber er hat uns zugezwinkert.“
Meno dachte nach.
„Ob das mit der Geschichte zu tun hat. Opa war gerade da, wo die Kinder unter einem leeren Kartoffelsack die geheimnisvolle Kiste entdeckt hatten. Wa da wohl drin war?“
Mina nickte und grinste sich eins. Sie galt zwar als die schlauere der neunjährigen Zwillinge, aber das hieß ja nicht, dass ihr Bruder dumm war.
Wenn sie bei Großvater im Geschichtenhaus Ferien machten, schliefen die Kinder gemeinsam in einer schmalen Dachkammer, wo die Betten so unter der Schräge standen, dass die Enden aneinander stießen. Auf die Art konnten die Zwillinge die Köpfe zusammen stecken und trotz der nur angelehnten Kammertür ungehört miteinander flüstern.
„Ich wittere ein Geheimnis“, verkündete Meno bedeutungsvoll.
„Ich auch“, kicherte Mina.
Ohne weitere Worte war klar, dass sie sich so bald wie möglich auf die Suche nach Kartoffensäcken machen würden.
Während ihr Bruder gähnend ins Kissen zurückfiel und schnell einschlief, fand Mina keine Ruhe. Schließlich stand sie auf und schlich auf bloßen Füßen die Treppe hinunter, um in der Küche einen Schluss Wasser zu trinken. Genau wie ihre Kammertür war auch die Wohnzimmertür nur angelehnt. Von drinnen war Mamas energische Stimme zu hören.
„Die Kinder sind noch viel zu jung für solch ein Abenteuer!“
Großvaters Stimme wirkte unbeeindruckt.
„Du warst sogar erst acht.“
„Aber das waren ganz andere Zeiten!“
„Nun mal halblang, die beiden sind schließlich ganz und ganz deine Kinder! Die verkraften das.“
„Vater, es ist sinnlos, mit dir zu diskutieren. Wahrscheinlich sind die schlauen Bälger sowieso schon auf der Spur. Da kann ich jetzt auch nichts mehr ändern.“
Großvater brummte begütigend.
„Geschadet hat dir die Kiste jedenfalls nicht. Wer weiß, ob du eine so großartige Krimiautorin geworden wärst, wenn ich mit dem Kistengeheimnais gewartet hätte.“
Mina war jetzt vollends hellwach. Gab es die Kiste wirklich? Und kann sie beim Bücherschreiben helfen? Mama war eine berühmte Autorin. Ihre Bücher wurden sogar verfilmt. Und Opas Bilderbücher gehörten in jeder Kita zu den Lieblingsbüchern.
Ob sie, Mina, vielleicht auch einmal so richtig gute Sachen schreiben könnte?

Stunde um. Mal sehen, ob es weitergeht.